Griese Gegend
Griese Gegend nennt man den Südwesten Mecklenburgs, und diese Bezeichnung meint nicht etwa ein vornehmes Grau, sondern wird meist mit einer abwertenden Handbewegung verbunden. Griese Gegend? Da ist nichts los, da dehnen sich endlose Nadelwälder, da wächst ein bisschen Heidekraut, da kann man Blaubeeren pflücken oder Pilze sammeln, je nach Jahreszeit. Griese Gegend? Das ist eine flache eintönige Landschaft mit Sand und Staub, mit Sümpfen und Mücken. Nun ja, es soll nicht mehr so schlimm sein mit den feuchten Wiesen, man hat dort viele Gräben gezogen, das Vieh gedeiht prächtig, es gibt auch schöne Laubwälder, aber dennoch griese Gegend... Kein Mecklenburger wird, befragt nach den schönsten und erholsamsten Gegenden des zwischen Holstein und Pommern sowie zwischen Elbe/Elde und Ostsee gelegenen Landes, empfehlen: Kommen Sie in die griese Gegend, Sie werden es nicht bereuen! Nein, er wird andere Landschaften aufzählen, die mecklenburgische Badeküste zum Beispiel, angefangen von Dassow im Westen bis hin zum Fischland im Osten. Oder die mecklenburgische Seenplatte zwischen Schwerin und Waren, ein Eldorado für Wassersportler und Campingfreunde! Oder die mecklenburgische Schweiz um Teterow herum. Der Name klingt verheißungsvoll, und dort ist man auch wirklich nicht mehr im flachen Land. Der Blick von den weich geschwungenen Hügeln lässt die kleinen Städte so vertraulich spielzeughaft erscheinen. Aber die griese Gegend? Griese Gegend das ist das Gebiet zwischen der Lewitz und der Elbe mit den Städten Ludwigslust, Grabow, Hagenow, Lübtheen und Dömitz, und wenn man Hagenow so richtig schön breit mecklenburgisch ausspricht, das lange a etwas zum o hin gezogen und das auslautende o zum u hin moduliert, dann hat man etwas von der Klangfarbe der griesen Gegend: ein bisschen grau, ein bisschen eintönig, ein bisschen langsam. Auch Fritz Reuter, altbewährter Kenner mecklenburgischer Angelegenheiten, war nicht begeistert von der griesen Gegend. In seiner »Urgeschicht von Meckelnborg« schreibt er: »Michael (der Erzengel) namm dat Lübtheener Amt un Grabow un Däms (Dömitz), äwer't würd ok dornah. Na, Lihrwark is keen Meisterstück.« Die Eisenbahnstrecke zwischen Schwerin und Ludwigslust gehört zu den monotonsten in ganz Mecklenburg. Die Bahnhöfe gleichen sich wie ein Ei dem andern. Auf der Autobahn und der Fernstraße 106 ist es nicht viel besser. Schnurgerade Verkehrswege, die am Westrand des Landschaftsschutzgebietes Lewitz verlaufen. Dieses Wiesen und Sumpfgebiet mit einer Länge von 21 Kilometern, einer Breite von 11 Kilometern und einer Gesamtfläche von 100 Quadratkilometern war von jeher ein Hindernis für feste Straßen und Bahnlinien. Die Verkehrsverbindungen liegen am Rande, die Bahnlinie SchwerinCrivitzParchim im Norden, die Linie ParchimNeustadtLudwigslust im Süden. Die Schönheiten dieser Landschaft - und sie hat Schönheiten! - liegen hinter den Verkehrswegen, und es macht ein wenig Mühe, ehe man sie findet. Natur und Heimatfreunde aber kennen und lieben die Tier und Pflanzenwelt dieses Gebietes und wissen, dass es ein Vogelparadies ist. Die griese Gegend ist eigentlich grün, und das Grün tut den Augen ganz besonders wohl, vor allem im Frühjahr, wenn die Tonleiter der Farbe mit dem zartesten Gelbgrün beginnt, um im Lauf des Sommers zu einem kräftigen Mittelgrün zu werden und sich zum satten Dunkelgrün des Frühherbstes steigert. Doch diese Gegend hat noch mehr zu bieten als Grün: Sie garniert sich mit gelbem Ginster, violetter Erika und vor allem mit der Blütenpracht der Obstbäume, die hier hervorragend gedeihen. Und mitten in der griesen Gegend liegt Ludwigslust, das schönste städtebauliche Kleinod Mecklenburgs.
(mit freundlicher Genehmigung des Konrad-Reich-Verlages Rostock aus „Ludwigslust“ 1990)
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