Johannes Gillhoff: Jürnjacob Swehn der Amerikafahrer. 1917
Auszüge aus dem Buch über das leben in der Heimat Jürnjacobs in Westmecklenburg:
...Hinter Hornkaten, in den Lieper Bergen, wo der Sand am dünnsten war, da stand ich still. Das war so die Angewohnheit an der Stelle. Da hatte der alte Hannjürn mit Pferd und Wagen auch immer stillgehalten, auf daß sie sich verpusteten. Er aber stand daneben und kuckte sich um, und dann sagte er so ganz langsam und ebendrächtig vor sich hin: Dies Land ist dem lieben Gott auch man mäßig geglückt. Wenn er das gesagt hatte, dann sagte er: Hüh! und fuhr weiter. Denn er war ein Mann, der wenig Wörter machte. Wenn du seinen Sohn siehst, dann grüß ihn von mir. Da stand ich auch still und sah zurück und sprach zu mir: Jürnjakob Swehn, du bist den Weg schon mehr als fünfzigmal gegangen. Aber heute ist es anders als sonst. Wo dir das wohl gehen wird im fremden Lande. Da sind vor dir schon viele in ein fremdes Land gewandert, und ihre Spuren hat der Sand verweht. Und Jakob auch, als er nach Haran zog, wie du uns in der Schule gelehrt hast. Mich soll man bloß wundern, ob ich auch zwei Kuhherden vor dem Stock habe, wenn ich zurückkomme. Wenn's auch man bloß eine ist wie Karl Busacker seine zwölf Stück. Aber Jakob brauchte auch nicht über das große Wasser. - Als ich das gedacht hatte, sagte ich zu meinem Sack: Nun komm man wieder her! So ging ich weiter. Das war 1868. Ich war neunzehn Jahre alt, und am 20. Juli sollte ich von Hamburg gehen... Ich hab zu ihm gesagt: Mir ist in der letzten Zeit mein altes Dorf und unser Haus oft durch den Sinn gegangen, wo ich nun doch auch alt werde. So will ich dir das mal richtig erzählen, daß du dir das ausmalen und mit Augen sehen kannst. Denn es ist immer gut für den Menschen, wenn er weiß, woher er kommt. Es war ein alter Strohkaten, in dem wir wohnten. Er war niedrig im Dach, aber dafür der längste im Dorf. Darin gehörte uns eine Stube und eine Kammer. Wer lang aufgeschossen war, der tat gut, wenn er mit seinem Kopf den Balken aus dem Wege ging. Für einen hochmütigen Menschen war da schlecht wohnen. Wenn er aber in eins von den vielen Löchern im Fußboden trat, dann konnte er seinen Kopf hoch tragen. Dann ging das so eben. Der Fußboden war als Lehm auf dem Püttberg gewachsen. Man bloß, er brach immer aus. Aber sonntags streute die Mutter weißen Sand. Da sah er sehr schön nach Sonntag aus... Mit den Kartoffeln war das ganz bequem eingerichtet. Die brauchten wir nicht weit aus dem Keller oder aus der Kammer zu holen. Sie lagen im Winter unter dem Bett in der Stube, daß sie nicht erfroren. Da unter dem Bett war auch noch Platz für einen gadlichen Pölk* oder wenigstens für ein hübsches Ferkel; das sollte uns morgens mit seinem Quieken wecken. So sparten wir die Uhr. Aber Vater starb zu früh, und so weckte es uns bloß in Gedanken. - Die Wände waren Klehmstaken, auf beiden Seiten mit Lehm überworfen, und der Lehm war mit Häcksel vermischt. So war er nicht so vergänglich; so hielt er sich besser. Im Frühjahr konnten wir den Flieder schon durch die Wand durch riechen, und im Sommer ging die Sonne hindurch, daß wir die Tür nicht mal aufzumachen brauchten. So bequem hatten wir das. Gab es nichts zu riechen im Winter, dann lehnten wir bloß ein paar Strohkloppen gegen die Wände, und der Schnee mußte draußen bleiben. Der Ofen war aus festem Backstein und auch mit Lehm vom Püttberg überworfen. Er hatte eine wunderschöne grüne Farbe. Du kannst alle Pötters in den Staaten fragen, und keiner tut das raten, woher die grüne Farbe kam, und der Präsident weiß es auch nicht. Das war ein Geheimnis meines Vaters. Denn siehe, er hatte den Lehm mit Kuhdung vermischt; darum sah der Ofen so schön grün aus. Bettstellen, Koffer, Tisch und Brettstühle, das hatten wir alles ganz umsonst, denn Vater hatte es selbst gemacht. Der Koffer hatte links ordentlich eine Beilade, wie das so Mode war, und unten in der Beilade lag der Geldstrumpf, wie das auch so Mode war. Meist aber war nur der Strumpf da, und so konnten wir ruhig schlafen. An der Wand hing ein kleiner Spiegel; der Belag war hinten an vielen Stellen schon abgescheuert; aber wir konnten uns doch noch ganz nett in dem Spiegel besehen, wenn wir Lust dazu hatten. Dann hing da noch ein Christus am Kreuz und die heilige Genoveva. Glas und Rahmen hatten sie nicht. So waren sie an die Wand genagelt und konnten nicht runterfallen. Die haben sich da gehalten, so lange ich denken kann. Wenn Holztage waren, dann schoben Mutter und wir mit der Karre nach den Tannen hinter dem Roden Socken und holten trockenes Holz. Das war eine Stunde hin und eine Stunde zurück und machte uns viel Spaß. Manchmal gab es in den Tannen auch einen Katteiker (Eichhörnchen) zu sehen. Aber Mutter mußte schieben, bis wir so weit rangewachsen waren, und sie mußte die Karre oft niedersetzen und sich verpusten. Vater verdiente vier Schilling im Tagelohn, aber es gab nur in der Aust und beim Dreschen was zu verdienen, und das Dreschen ging schon morgens drei Uhr los. Für uns Jungs war das Dreschen ein Fest, denn wir konnten nachmittags manchmal hingehen zum Bauern und uns auf den Strohkloppen Woltern (wälzen), und manchmal gab die Frau uns noch ein Butterbrot dazu. Siehe, so waren wir glücklich. Das dauerte, bis der Vater starb. Er war nicht fest in der Lunge. Er hatte sich in der Aust erkältet. Er kriegte es mit der Lungenentzündung. Am letzten Tag sagte er zu Mutter: Es paßt schlecht, denn die Aust ist noch nicht zu Ende; aber meine Zeit ist um. Busacker will dir ein paar Bretter schenken, das hat er mir versprochen. Der alte Köhn will den Sarg umsonst machen; das hat er mir auch versprochen. Und der Lehrer will mit den Kindern >Christus, der ist mein Leben< singen, das hat er mir auch versprochen. Dann hat er die Hände gefolgt. Als Köhns Vater den Sarg zunagelte, da hab ich die Nägel gehalten und kam mir sehr wichtig dabei vor, denn wir waren alle noch klein. Aber Mutter hatte nachher oft rote Augen... Siehe, das ist auch ein Grund, warum ich am alten Dorf hänge. Wo der junge Diehn heut auf der Guhls mäht, da hat sein Großvater auch schon die Sense geführt, und die Kinder von dem jungen Saß spielen in demselben Strohkaten, in dem schon der Urgroßvater als kleiner Jung in der Wiege gelegen hat. Friels Kinder schütteln die Äpfel von den Bäumen, die der Großvater pflanzte, und die Störche, die nun bald wieder auf Brünings Haus klappern, sind wohl die Nachkommen von dem Adebar, zu dem der Alte sich schon als Kind gefreut hat so bei 1800 rum. Ich hab ihn noch so eben gekannt. Und du - du lehrst heute noch die Kinder in demselben Dorf, in dem schon dein Vater und dein Großvater als Lehrer arbeiteten, und das Amt ist auch schon über hundert Jahre in der Familie. Ich kann dir das nicht sagen, wie ich das richtig fühlen tu in meinem Herzen; aber du wirst mich wohl auch so verstehen. Das ist es, was uns hier fehlt. Was hier seine zehn Jahre im Lande sitzt, das ist schon eine sehr lange Zeit. Hier wachsen keine Geschichten und Erinnerungen aus alter Zeit, die mit unsern Vätern und mit der Erde unter unsern Füßen verbunden sind. In unsern Städten wachsen sie erst recht nicht. Es mag sein, daß zu viel Erinnerungen auch vom Übel sind, ebenso wie zu viel Ballast. Das gilt auch wohl für ein ganzes Volk. Wer vorwärts will, der muß helle Augen haben, der darf nicht zu viel über den Rücken sehen, der muß sich mal gründlich über die Augen wischen und alten Staub wegwischen. Das gilt auch wohl für ein ganzes Volk. Wer vorwärts will und siegen will, der muß jung sein und Glauben haben. Wenn man alt ist, siegt man nicht mehr. Dann ruht man sich aus bei seinen Erinnerungen. Aber mir sind meine Erinnerungen etwas Schönes und Heiliges. |