Leader+ Unsere Region in Zitaten

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Auf dieser Seite möchten wir mit wechselnden Themen die Region Westmecklenburg im Spiegel historischer aber auch aktueller Beiträge in Büchern, Zeitschriften oder Tageszeitungen darstellen:

Teil 2

Blühende Griese Gegend.
Wo Raubritter Priebe Heinrich dem Löwen Paroli bot.
Heinz W. Pahlke (1995)

Fachwerkhaus in DömitzAnheimelnde Backstein- und Fachwerkhäuser bestimmen auch heute noch das Bild der Städtchen und Dörfer der Griesen Gegend im Westen Mecklenburgs. Ausgedehnte Kiefernwälder, sanfte Hügel, großflächige Wiesen und Äcker, träge dahinfließende Gräben und kleine Moore prägen das Land zwischen Elde und Sude. Von den einst weiträumigen Heideflächen künden heute allerdings nur noch Orts- und Flurnamen wie Heidehof, Pichersche Heide, Ludwigsluster Heide, Nachbarsheide, Eldenaer Heide, Heidhof, Heiddorf und Pumpelheide. Heide ist selten geworden, seit die Schafherden auf Restbestände schrumpften und Feuchtbiotope wie Trockenheiden der Melioration zum Opfer fielen.
War es die graue Farbe des vorherrschenden Sandbodens oder der Erlenbruchungefärbten Leinenkleider der Tagelöhner, die dem Land im äußersten Westen Mecklenburgs ihren Namen gab? Endgültig wird sich die Frage wohl nicht mehr beantworten lassen. Eines allerdings ist die Griese Gegend mit Sicherheit nicht: grau oder gries, obwohl die einst ärmste Region des Herzogtums Mecklenburg-Schwerin auch heute mit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Dörfer wie Glaisin, Laupin, Bresegard, Grebs, Wöbbelin oder Woosmer blühen sichtbar wieder auf. Häßliche Plattenneubauten sind selten, die meisten Dörfer haben sich ihren über Jahrhunderte gewachsenen dörflichen Charakter bewahren können. Stärker gelitten haben Ludwigslust und einige Städtchen am Rande der Griesen Gegend.
Abrundungs- und Gestaltungssatzungen sollen zukünftige Fehlentwicklungen verhindern. Typisch für viele Dörfer ist der freie Durchblick zwischen den Hofanlagen, sagt Glaisins Bürgermeister Jürgen Behrends. Typisch und ein beliebtes Fotomotiv der Urlauber sind ebenso die Klumphäuser, jene niederdeutschen Hallenhäuser, deren Fachwerk mit an Schlacke oder Lavagestein erinnernden, aus den umliegenden Mooren gewonnenen braunschwarzen Raseneisensteinen ausgefüllt ist. Auch die beiden Türme der Stadtkirche und des Friedhofes in Ludwigslust sind mit ihnen verkleidet worden. Großherzog
Ab Mai oder Juni, hofft Jürgen Behrends, kann im alten Backhaus an Wochenenden wieder Brot gebacken und zum Kauf angeboten werden. Länger wird es dagegen noch dauern, bis der eindrucksvolle Forsthof von 1875 wieder vollständig hergerichtet ist.
Zwei Persönlichkeiten hat Glaisin beherbergt. An den Dorfschullehrer Johannes Gillhoff und seinen Briefroman „Jürnjakob Swehn, der Amerikafahrer“ über das Schicksal von Not und Elend aus Mecklenburg vertriebener Tagelöhner erinnert eine Ausstellung in der alten Schule. An Hermann Priebe und seine Burg, die eine der mächtigsten Raubritterburgen Mecklenburg-Schwerins gewesen sein soll, erinnern dagegen kaum noch zu erkennende Spuren des Burggrabens. Erst nach halbjähriger Belagerung konnte 1298 ein Heer Heinrich des Löwen, unterstützt durch ein Kontingent der Stadt Lübeck, die Priebeburg erobern und zerstören.
Während in den Dörfern gehungert wurde, gefielen sich die Landesherren im Prunk. Zwar sind nach jahrzehntelanger Zweckentfremdung für die Kreisverwaltung erst einige Säle des Ludwigsluster Schlosses museal hergerichtet und zur Besichtigung freigegeben worden, doch insbesondere der Goldene Saal legt beeindruckend Zeugnis ab von herzoglicher Pracht in Mecklenburg-Im SudetalSchwerin. Manches allerdings ist auch nur schöner Schein: Hinter den vergoldeten Schmuckelementen, Ziervasen und Büsten versteckt sich zumeist nur Papiermaché. In alter Schönheit wiedererstanden sind Kavalierhaus, Spritzenhaus, Fontänenhaus und Marstall des mecklenburgischen Versailles, weiter auf ihre Restaurierung warten müssen die imposante, an einen griechischen Tempel erinnernde Stadtkirche und das Schweizerhaus.
Am besten erkunden läßt sich das Land zwischen Elde und Sude zu Fuß oder mit dem Fahrrad. An markierten Rad- und Fußwanderwegen mangelt es nicht mehr, wohl allerdings mancherorts an der Markierung. Beeindruckend sind die bis zu 28 Meter hohen Binnenland-Wanderdünen zwischen Klein und Groß Schmölen, überraschend die botanische und geologische Vielfalt des Wanzeberges, von der Hans Joachim Bötefür interessierten Besuchern seiner Heimatkundlich-geologischen Sammlung in Kaliß stundenlang zu erzählen weiß.

Johannes Gillhoff:
Jürnjacob Swehn der Amerikafahrer. 1917Doldige Schwanenblume

Auszüge aus dem Buch über das leben in der Heimat Jürnjacobs in Westmecklenburg:

...Hinter Hornkaten, in den Lieper Bergen, wo der Sand am dünnsten war, da stand ich still. Das war so die Angewohnheit an der Stelle. Da hatte der alte Hannjürn mit Pferd und Wagen auch immer stillgehalten, auf daß sie sich verpusteten. Er aber stand daneben und kuckte sich um, und dann sagte er so ganz langsam und ebendrächtig vor sich hin: Dies Land ist dem lieben Gott auch man mäßig geglückt. Wenn er das gesagt hatte, dann sagte er: Hüh! und fuhr weiter. Denn er war ein Mann, der wenig Wörter machte. Wenn du seinen Sohn siehst, dann grüß ihn von mir.
Da stand ich auch still und sah zurück und sprach zu mir: Jürnjakob Swehn, du bist den Weg schon mehr als fünfzigmal gegangen. Aber heute ist es anders als sonst. Wo dir das wohl gehen wird im fremden Lande. Da sind vor dir schon viele in ein fremdes Land gewandert, und ihre Spuren hat der Sand verweht. Und Jakob auch, als er nach Haran zog, wie du uns in der Schule gelehrt hast. Mich soll man bloß wundern, ob ich auch zwei Kuhherden vor dem Stock habe, wenn ich zurückkomme. Wenn's auch man bloß eine ist wie Karl Busacker seine zwölf Stück. Aber Jakob brauchte auch nicht über das große Wasser. - Als ich das gedacht hatte, sagte ich zu meinem Sack: Nun komm man wieder her! So ging ich weiter. Das war 1868. Ich war neunzehn Jahre alt, und am 20. Juli sollte ich von Hamburg gehen...Kanone auf Festung Dömitz
Ich hab zu ihm gesagt: Mir ist in der letzten Zeit mein altes Dorf und unser Haus oft durch den Sinn gegangen, wo ich nun doch auch alt werde. So will ich dir das mal richtig erzählen, daß du dir das ausmalen und mit Augen sehen kannst. Denn es ist immer gut für den Menschen, wenn er weiß, woher er kommt.
Es war ein alter Strohkaten, in dem wir wohnten. Er war niedrig im Dach, aber dafür der längste im Dorf. Darin gehörte uns eine Stube und eine Kammer. Wer lang aufgeschossen war, der tat gut, wenn er mit seinem Kopf den Balken aus dem Wege ging. Für einen hochmütigen Menschen war da schlecht wohnen. Wenn er aber in eins von den vielen Löchern im Fußboden trat, dann konnte er seinen Kopf hoch tragen. Dann ging das so eben. Der Fußboden war als Lehm auf dem Püttberg gewachsen. Man bloß, er brach immer aus. Aber sonntags streute die Mutter weißen Sand. Da sah er sehr schön nach Sonntag aus...Heidevegetation
Mit den Kartoffeln war das ganz bequem eingerichtet. Die brauchten wir nicht weit aus dem Keller oder aus der Kammer zu holen. Sie lagen im Winter unter dem Bett in der Stube, daß sie nicht erfroren. Da unter dem Bett war auch noch Platz für einen gadlichen Pölk* oder wenigstens für ein hübsches Ferkel; das sollte uns morgens mit seinem Quieken wecken. So sparten wir die Uhr. Aber Vater starb zu früh, und so weckte es uns bloß in Gedanken. - Die Wände waren Klehmstaken, auf beiden Seiten mit Lehm überworfen, und der Lehm war mit Häcksel vermischt. So war er nicht so vergänglich; so hielt er sich besser. Im Frühjahr konnten wir den Flieder schon durch die Wand durch riechen, und im Sommer ging die Sonne hindurch, daß wir die Tür nicht mal aufzumachen brauchten. So bequem hatten wir das. Gab es nichts zu riechen im Winter, dann lehnten wir bloß ein paar Strohkloppen gegen die Wände, und der Schnee mußte draußen bleiben. Der Ofen war aus festem Kutsche in LudwigslustBackstein und auch mit Lehm vom Püttberg überworfen. Er hatte eine wunderschöne grüne Farbe. Du kannst alle Pötters in den Staaten fragen, und keiner tut das raten, woher die grüne Farbe kam, und der Präsident weiß es auch nicht. Das war ein Geheimnis meines Vaters. Denn siehe, er hatte den Lehm mit Kuhdung vermischt; darum sah der Ofen so schön grün aus.
Bettstellen, Koffer, Tisch und Brettstühle, das hatten wir alles ganz umsonst, denn Vater hatte es selbst gemacht. Der Koffer hatte links ordentlich eine Beilade, wie das so Mode war, und unten in der Beilade lag der Geldstrumpf, wie das auch so Mode war. Meist aber war nur der Strumpf da, und so konnten wir ruhig schlafen. An der Wand hing ein kleiner Spiegel; der Belag war hinten an vielen Stellen schon abgescheuert; aber wir konnten uns doch noch ganz nett in dem Spiegel besehen, wenn wir Lust dazu hatten. Dann hing da noch ein Christus am Kreuz und die heilige Genoveva. Glas und Rahmen hatten sie nicht. So waren sie an die Wand genagelt und konnten nicht runterfallen. Die haben sich da gehalten, so lange ich denken kann.
Wenn Holztage waren, dann schoben Mutter und wir mit der Karre nach den Tannen hinter dem Roden Socken und holten trockenes Holz. Das war eine Stunde hin und eine Stunde zurück und machte uns viel Spaß. Manchmal gab es in den Tannen auch einen Katteiker (Eichhörnchen) zu sehen. Aber Mutter mußte schieben, bis wir so weit rangewachsen waren, und sie mußte die Karre oft niedersetzen und sich verpusten. Vater verdiente vier Schilling im Tagelohn, aber es gab nur in der Aust und beim Dreschen was zu verdienen, und das Dreschen ging schon morgens drei Uhr los. Für uns Jungs war das Dreschen ein Fest, denn wir konnten nachmittags manchmal hingehen zum Bauern und uns auf den Strohkloppen Woltern (wälzen), und manchmal gab die Frau uns noch ein Butterbrot dazu. Siehe, so waren wir glücklich.Handwerkszeichen
Das dauerte, bis der Vater starb. Er war nicht fest in der Lunge. Er hatte sich in der Aust erkältet. Er kriegte es mit der Lungenentzündung. Am letzten Tag sagte er zu Mutter: Es paßt schlecht, denn die Aust ist noch nicht zu Ende; aber meine Zeit ist um. Busacker will dir ein paar Bretter schenken, das hat er mir versprochen. Der alte Köhn will den Sarg umsonst machen; das hat er mir auch versprochen. Und der Lehrer will mit den Kindern >Christus, der ist mein Leben< singen, das hat er mir auch versprochen. Dann hat er die Hände gefolgt. Als Köhns Vater den Sarg zunagelte, da hab ich die Nägel gehalten und kam mir sehr wichtig dabei vor, denn wir waren alle noch klein. Aber Mutter hatte nachher oft rote Augen...
Siehe, das ist auch ein Grund, warum ich am alten Dorf hänge. Wo der junge Diehn heut auf der Guhls mäht, da hat sein Großvater auch schon die Sense geführt, und die Kinder vGroßherzogliche Mecklenburgische Poststationon dem jungen Saß spielen in demselben Strohkaten, in dem schon der Urgroßvater als kleiner Jung in der Wiege gelegen hat. Friels Kinder schütteln die Äpfel von den Bäumen, die der Großvater pflanzte, und die Störche, die nun bald wieder auf Brünings Haus klappern, sind wohl die Nachkommen von dem Adebar, zu dem der Alte sich schon als Kind gefreut hat so bei 1800 rum. Ich hab ihn noch so eben gekannt. Und du - du lehrst heute noch die Kinder in demselben Dorf, in dem schon dein Vater und dein Großvater als Lehrer arbeiteten, und das Amt ist auch schon über hundert Jahre in der Familie.
Ich kann dir das nicht sagen, wie ich das richtig fühlen tu in meinem Herzen; aber du wirst mich wohl auch so verstehen. Das ist es, was uns hier fehlt. Was hier seine zehn Jahre im Lande sitzt, das ist schon eine sehr lange Zeit. Hier wachsen keine Geschichten und Erinnerungen aus alter Zeit, die mit unsern Vätern und mit der Erde unter unsern Füßen verbunden sind. In unsern Städten wachsen sie erst recht nicht. Es mag sein, daß zu viel Erinnerungen auch vom Übel sind, ebenso wie zu viel Ballast. Das gilt auch wohl für ein ganzes Volk. Wer vorwärts will, der muß helle Augen haben, der darf nicht zu viel über den Rücken sehen, der muß sich mal gründlich über die Augen wischen und alten Staub wegwischen. Das gilt auch wohl für ein ganzes Volk. Wer vorwärts will und siegen will, der muß jung sein und Glauben haben. Wenn man alt ist, siegt man nicht mehr. Dann ruht man sich aus bei seinen Erinnerungen. Aber mir sind meine Erinnerungen etwas Schönes und Heiliges.

Teil 2
Teil 2